Jahresgabe Nr. 8

Written by KVN-Admin

Jahresgabe Nr. 8 des Kunstvereins Nördlingen

Alexandra Deutsch
Aus der Serie „Organics“, 2009

Geschöpftes Papier, Pigmente, Beize
Objekt 1: ca. 3,5 x 16 x 6 cm, Objekt 2: ca. 2 x 12 x 7 cm
Signierte, datierte und limitierte Auflage


Sie haben auf den ersten Blick etwas Verletzliches, Anrührendes. Sie wirken zerbrechlich, filigran, diese kleinen Objekte aus der Werkserie „Organics“. Doch hält man sie in Händen, ist man überrascht von ihrer Festigkeit und Stabilität.

Alexandra Deutsch schöpft ihr plastisches Material aus der rohen Baumwollfaser. Aus dem Faserbrei (Pulpe) entstehen nach mehreren Arbeitsschritten etwa DIN A 4 große Papierbögen, die sie noch in feuchtem Zustand zu objekthaften Gebilden formt. Ist das Papier getrocknet, versteift es sich zu einem erstaunlich festen, aber leichten Material. In mehreren Schichten wird danach die Farbe, flüssige Beize oder Tusche, aufgetragen, die tief in die Objekte eindringt und eine farblich geschlossene Oberfläche erzeugt. In einem letzten Schritt verwendet Deutsch eine selbst hergestellte, eher pudrig-matte Farbe aus Pigmenten, mit der sie leuchtende Farbeffekte erzielen kann.

Objekt 1 geht von einer ovalen, schwarz bemalten Grundform aus. Auf dieser sitzen links und rechts zwei grünlich-gelbe Halbkreise, die über einen grünen Steg in der Mitte verbunden sind. Ihre sich wölbenden Kanten laufen am Ende jeweils in zwei roten Tentakeln oder Stacheln aus, die spitz in den Raum weisen. Zwei kreisförmige Ausstülpungen oder Kelche am Rand unterstreichen den Gesamteindruck einer organischen Form. Innen rot und außen schwarz bemalt, wirken sie wie aufgerissene Münder oder seitlich angesetzte, geöffnete Augen. Das papierne Material wölbt sich wie eine Maske oder ein Panzer plastisch auf, lässt die Gesamtform auch als Gefäß empfinden. Die kontrastreiche Farbigkeit und der Gegensatz von dunklen und helleren Partien korrespondiert mit dem Eindruck von Offenheit und Geschlossenheit der Form, von Öffnung und Abwehr. In seiner Doppelung erinnert das Objekt auch an einen siamesischen Zwilling mit selbstständigen und von einander abhängigen Teilen. Dieses Zwitterwesen, sein Titel verweist es schon in den Bereich von Flora und Fauna, ist uns eigentümlich bekannt und zugleich fremd.

Objekt 2 hat eine tellerförmige Grundform mit leicht aufgewölbtem Rand und einem sich bauchartig aufwölbenden Mittelpunkt. Auf diesem sitzen drei schwarze Kelche, zwischen denen drei leuchtend rote Tentakeln oder Stacheln emporwachsen. Noch stärker als im ersten Objekt hat man hier den Eindruck, das Wesen strecke seine Fühler wie Antennen in den Raum. Die „Kontaktaufnahme“ mit diesem geschieht wiederum zunächst über die leuchtend grünlich-gelbe Farbigkeit des Objekts und über den Kontrast der signalroten Farbe der Stacheln und des unteren, leicht aufgewölbten Randes zum komplementären Grünton. Im zweiten Schritt assoziiert man ein organisches Gebilde, das einerseits erstarrt und andererseits ebenso lebendig erscheint.
Es ist ein „geheimnisvolles Biotop“, „eine ganz neue Artenvielfalt“, es sind „Wesen (…), die direkt hineinführen in die Frage, was das ist, das Leben und das Lebendigsein“, hat Nicolai Vogel treffend zu den Werken von Alexandra Deutsch gesagt. Zusammen mit den Werken der Malerinnen Annegret Hoch und Esther Zellmer zeigte die Künstlerin in der Alten Schranne in Nördlingen in der Ausstellung „Farbpracht“ des Kunstvereins Nördlingen im Frühjahr 2009 (5.4.-3.5.2009) nicht nur Arbeiten aus Papier, sondern vor allem auch körperhafte, textile Objekte aus elastischen, bunten Stoffen.
Prägend für ihr aktuelles Werk war ein Stipendium, das die Künstlerin 2005 nach Brasilien, ans Mündungsdelta des Amazonas führte. Der Formenreichtum und die Farbenergie der tropischen Vegetation und Tierwelt haben seither Eingang in ihr Schaffen genommen. 2007 bereiste sie Peru, 2009 war Alexandra Deutsch in Kolumbien. Jede dieser Reisen auf den südamerikanischen Kontinent hinterlässt deutliche Spuren in ihrem Werk.
Alexandra Deutsch, 1968 in Karlsruhe geboren, studierte Bildende Kunst an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und absolvierte ein Gaststudium an der École des Beaux Arts in Dijon. 2006 hatte sie einen Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste in Mainz. Deutsch wurde bereits mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt mit dem luxemburgischen „Dance-Palace“ Projektstipendium, einem zweimonatigen Arbeitsaufenthalt, während dem sie erstmalig mit Tänzern zusammenarbeitete (2007). Aktuell entstehen für das Theater Esch, ebenfalls in Luxemburg, acht Kostümobjekte, die zu einem Stück von Jacques Prévert („Paroles en l’air“) in Aufführungen Anfang 2010 getragen werden.

Dr. Sabine Heilig, im November 2009