Jahresgabe Nr. 11 des Kunstvereins Nördlingen
Ingrid Sperrle
o.T., 2012
Rost auf blauer Kunstseide, 20 x 15 cm
Signierte und auf 120 Exemplare limitierte Auflage
Ein blaues, rechteckiges Feld leuchtet aus einer rostigen Fläche auf. Die erdigen Farben changieren in verschiedenen Nuancen, von orangerot, rotbraun, dunkelbraun bis hin zu braunschwarz. Die Bildoberfläche wirkt pudrig trocken. Einzelne Partien schimmern im Licht auf, andere treten matt zurück.
Wie aus der Vogelperspektive gesehen, an Inseln oder Flussläufe erinnernd, durchziehen grafische Spuren die Rostlandschaft. Sie formulieren einen organisch anmutenden Bildraum. Die haptische Präsenz des rostigen Farbmaterials steht im Kontrast zur glatten, leicht glänzenden und monochromen Fläche des blauen Rechtecks.
Der Blick des Betrachters geht darin wie durch ein Fenster hinaus in den unendlichen Raum. An den Kanten, dem Übergang von freier Stofffläche zur Rostfarbe, ist eine leichte bräunliche Verschattung oder ein heller orange farbener Rand zu erkennen, die an die Entstehung des Bildwerkes erinnern.
Ingrid Sperrle nutzt als Gestaltungsmaterial den Rost, der durch den chemischen Prozess der Oxydation entsteht.
Die Künstlerin betätigt sich gärtnerisch: zunächst wird das Beet bestellt. Es besteht aus Eisenplatten verschiedener Größen und Zuschnitte wie Rechtecke, Quadrate, Dreiecke. Darauf wird der Bildträger gelegt. Meist sind es stoffliche Gewebe wie Baumwolle, Nessel, Seide bis hin zu Denim. Dann wird das „Beet“ über eine bestimmte Zeit gegossen und der Rost wächst von unten durch den Stoff hindurch. Der Korrosionsprozess beginnt, sein Ablauf ist nicht vorhersehbar. Der Rost malt das Bild von selbst. Die Künstlerin schätzt das Zufallsprinzip bei der Gestaltung, das immer wieder überraschende und neue Erkenntnisse hervorbringt.
Von inhaltlicher Bedeutung ist die Interpretation von Rost als Verrottungsprodukt, das jedoch hier eine neue, eine ästhetische Dimension erhält. Sein farblicher Facettenreichtum und die amorphe Strukturbildung, die keinem Muster zu folgen scheint, machen ihn zu einem besonderen farblichen Mittel, das mit seiner Patina von der Vergänglichkeit erzählt.
Ingrid Sperrle, die 1956 in Schwäbisch-Gmünd geboren wurde, absolvierte zunächst Ausbildungen zur Emailleurin und wissenschaftlichen Zeichnerin. Von 1987 bis 1990 studierte sie an der Freien Akademie für Bildende Kunst in Freiburg Malerei und Bildhauerei. Seit 1990 hatte sie ein Atelier in Freiburg, seit 2007 daneben auch in der Leipziger Baumwollspinnerei. Seit 2009 lebt und arbeitet sie in Leipzig.
2003 stellte Ingrid Sperrle zusammen mit Eberhard Brügel im Kunstverein Nördlingen aus. Im Schneidt’schen Haus in der Nördlinger Eisengasse zeigte sie Bilder in dieser Oxydationstechnik auf unterschiedlich farbigen Stoffuntergründen.
Im Herbst 2012 war von ihr in der Gruppenausstellung des Nördlinger Kunstvereins („Leipziger Spinnerei – Aus den Ateliers von Silke Koch, Edgar Leciejewski, Jochen Plogsties, Sandro Porcu, Daniel Schörnig, Ingrid Sperrle, Christiane Werner“) eine mehrteilige Installation unter dem Titel „Allem Anfang wohnt ein Ende inne“ zu sehen, bei dem die Besucher den Prozess der Oxydation von Beginn der Ausstellung bis zum Ende verfolgen konnten.
Dr. Sabine Heilig, im November 2012